Kein Härchen Buddhismus sei noch an ihm,

soll Dōgen Zenji bei seiner Rückkehr nach Japan erklärt haben - um danach mit dem Soto-Zen eine der wichtigsten Schulen des - immerhin - Zen-Buddhismus in Japan zu verbreiten. Gerade im Westen vernimmt man heute sehr oft, dass Zen eine Praxis bezeichnet, die in allen Religionen zu finden ist - weil sie selbst ganz ohne religiösen Überbau auskommt. Geht Zen ohne Buddhismus?

Bild von Anja Schneider-Keipert

Die einfache Antwort

Ja. Zen ist Zen, Sitzen ist Sitzen, etwas anderes findet nicht statt.

Meine ersten Begegnungen mit Zen waren teilweise befremdlich; eingebunden in strenge, unverständliche Rituale inmitten von merkwürdig gekleideten Menschen in einem dunklen Raum, die sich nach dem Sitzen in einer Ecke des Zendos ihrer Roben entledigten und in Alltagskleidung schlüpften; allein beim Kinh in waren meine Gedanken so sehr mit den Formalien des langsamen Gehens beschäftigt, dass ich oft genug über meine eigenen - wieder mal zu schnellen - Schritte stolperte.

Später, am Benediktushof, das Gegenteil: Im hellen Zendo meditiert man wahlweise auch in Jeans und T-Shirt; wenn Sutras rezitiert wurden, dann in deutscher Sprache; Rituale existieren nur auf der Basis einer gegenseitigen Verabredung. Nichts davon ist nötig, nichts hat einen Sinn, der darüber hinaus auf etwas anderes verweist. Aber manches hilft.

Beim Export des Zen in den Westen wurden zahlreiche Formen aus Japan übernommen, die weniger mit dem Zen als vielmehr mit der japanischen Kultur zu tun haben. Oder, schlimmer noch: da Zen seine Bedeutung in Japan vor allem durch seine „Nutzung“ im militärischen Kontext durch die Zeiten retten konnte, haben viele der Regeln, die man da ehrfürchtig übernommen hat, ihrem Ursprung eher im Militärischen als im Spirituellen.

Die Praxis selbst gewinnt dadurch, dass das Brimborium drum herum weggelassen wird: sie wird konzentrierter, einfacher, verliert das Exotische, um das es im Zen ja eben nicht geht.

Die Wahrheit ist wie so oft komplexer

Meine Auseinandersetzung mit dem Zen war dennoch initiiert von buddhistischen Büchern und Lehren; pures Interesse (auch am Exotischen) führte mich zu Sichtweisen, die mir halfen und mich letztlich zum Sitzen brachten. Zuletzt geriet, aufgrund beruflicher und privater Turbulenzen, der Buddhismus in den Hintergrund - was tatsächlich dazu führte, dass das Sitzen schwerer wurde und auch öfters einmal ausblieb.

Die Meditationspraxis des Zen, das Sitzen in Stille, ist eine Übung, die sich auch in anderen Religionen - wenngleich da oft eher als Randerscheinung - wiederfindet. Die Mystiker des Christentums (Meister Eckart) sind da nur ein Beispiel. Immer ist das Sitzen / Meditieren in einen Horizont gestellt, der dem Übenden ein Gegenüber gibt, eine Deutungsebene, auch eine Ethik.

Das Zen komplett nur auf die Praxis zu reduzieren, ist nicht unproblematisch. Eingeübt in den Augenblick, in Nicht-Selbst und Nicht-Beständigkeit, gaben die Selbstmord-Piloten der japanischen Armee im zweiten Weltkrieg die vielleicht radikalste Veranschaulichung dieser aller Sinne entbunden, dafür jedem Zweck dienlichen Haltung. Die heute Entdeckung von Achtsamkeit und Nicht-Ich in der freien Wirtschaft wirkt dagegen geradezu harmlos.

Zen ohne Buddhismus (oder einen anderen spirituellen Hintergrund): dahinter würde ich auch ohne diese problematischen Aspekte ein großes Fragezeichen setzen. Ohne einen geistigen Kontext, ohne über mich hinaus weisende Horizonte, läuft das Sitzen Gefahr, selbstbezogen und blind zu werden.

Der Buddhismus kennt keine Gebote wie Christentum oder Islam. Allerdings entwickelten sich aus den Meditationserfahrungen ethische Grundlagen: keine Richtlinien, sondern eher Bestätigungen des Erfahrenen. Es sind Wegmarken, die sich z.B. im Ideal des Bodhisattva spiegeln. Die Erfahrung des Nicht-Selbst nämlich stellt den Meditierenden vor eine große Aufgabe: im Dienst eines anderen, größeren Selbst. Die buddhistischen Lehren erweisen sich letztlich als Stütze und Spiegel der Praxis. Der Rückgriff auf eine Jahrtausende alte Tradition ist daher mehr als nur ein Hilfsmittel.

(Bild: Anja Schneider-Keipert im Yoga Zentrum Zwickau)


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