Die Welt verhält sich in den seltensten Fällen so, wie ich es mir wünsche. Wie oft läuft etwas schief und geht nicht „seinen“ Gang? Was der Fall ist, entspricht nur selten meinen Vorstellungen und Wünschen. So sage ich mir: Es ist halt so gekommen.

Es ist „halt“ so gekommen.

Schon bin ich mitten drin in meinen Bemühungen, gerade zu rücken, was schief gegangen ist, begreifbar zu machen, was dem eigenen Denken und Fühlen zuwiderläuft. Es ist halt so gekommen. Ich habe es anders gewollt, gemeint, verstanden, beabsichtigt.

Kommt es anders als gedacht, hat jeder von uns seine Strategien parat, um mit der sich so abzeichnenden Niederlage, der Kränkung, dem Verlust, der Infragestellung fertig zu werden. Ich habe zum Beispiel immer dann, wenn ich die Realität schmerzhaft zu spüren bekomme (oder meist schon weit vorher), das dringende Bedürfnis nach Rückzug. In eine stille Ecke, wo ich alles „in Ordnung“ bringen kann: sortieren, gerade rücken, auseinandernehmen, neu zusammensetzen. Schreiben zum Beispiel ist in dieser Hinsicht eine bewährte Kulturtechnik für das Einrichten einer verlässlichen Sicherheitszone.

Es ist ganz einfach: Ich erfinde einen Abstand zwischen dem Geschehenen und mir. Dem „halt“ stelle ich das „eigentlich“ gegenüber: Es ist halt so gekommen, aber eigentlich Mein Gegenspieler entpuppt sich als das „Es“ in diesem Satz: So gekommen ist es, aber ich (hätte es anderes gemacht)… Wenn es nach mir gegangen wäre, dann…

Die Wirklichkeit spaltet sich in imaginäre Sphären auf, in gedachte Alternativen. Diese fiktiven Szenarios eignen sich bestens für allerlei Arten von Erklärungen, Rechtfertigungen, Entschuldigungen und Ausweichmanövern: Das nächste Mal mache ich es ganz anders, aber diesmal ist es halt so gekommen (weil…).

Was kommt denn so?

Es ist einfach so.

Aber halt! Eine alternative Wirklichkeit gibt es nicht. Sie ist nur eine willkommene Fiktion, um mich dem Geschehenen nicht sang- und klanglos auszuliefern, sondern darauf zu beharren: Eigentlich… Ja eigentlich…

In jedem noch so ungelenken Rechtfertigungs- oder Erklärungsversuch steckt die Annahme, dass diese gedachten Alternativen für die Realität von Bedeutung sind. Ja: dass diese Sphäre des Eigentlichen, in der ich immer merkwürdig unbefleckt inmitten der dreckigen Wirklichkeit stehe, die eigentliche Wahrheit, in jedem Fall aber wichtiger ist als das zufällig so Gekommene.

Problem: Es gibt nur eine Wirklichkeit. Es gibt immer nur einen Augenblick. Es gibt nur ein Gegenüber. Indem ich das, was ist, immer schon aufsplittere in Möglichkeiten, Ausflüchte, Rückblenden usw., springe ich dem Wirklichen von der Schippe - und verpasse die Möglichkeiten, die sich aus dem ergeben, was ist. (Und die sind das einzig Wirkliche.)

Es ist einfach so. Es ist nicht anders, es ist auch nicht doppelt, drei- oder mehrfach. Es ist ganz einfach so. Im So-Sein-Lassen steckt die Annahme dessen was ist als dem, was ist. Ohne Versuche, parallel mit dem Eigentlichen zu verhandeln, ob es noch etwas rausrückt, was mir mehr gefällt. Es ist einfach so: das ist Begrüßung und Annahme des Seienden. Es ist so gekommen. Kein halt. Ohne das kleine Füllwort wird aus dem Satz eine Kenntnisnahme voller Respekt und Realismus. Ich werde mit dem so Gekommenen leben müssen - und können.

Wenn jemand auf den Boden fällt, steht er auch wieder vom Boden auf. Wenn er ohne Zuhilfenahme des Bodens aufstehen wollte, ist dies letztlich unmöglich,

zitiert Dogen im Shobogenzo Inmo die Aussage eines alten Meisters.1 Das was dich zu Fall bringt, richtet dich auch wieder auf.

Prinzip Verantwortung

It’s hard to accept the idea that you’re responsible for the seemingly random circumstances of your life. But just try it sometime. Try accepting full responsibility for everything in your life, including seemingly random events you couldn’t possibly have had any control over. Don’t worry about how you were responsible for these things. It doesn’t matter. Just accept that you are responsible, and see what happens,

schreibt Brad Warner in Sit Down, Shut Up.2 Man versuche einmal, dem so Gekommenen (das einem scheinbar ständig in die Quere kommt) nicht die eigene Version entgegenzusetzen, sondern zu akzeptieren was ist. Und dafür die volle Verantwortung zu übernehmen. Keine Ausreden, keine langen Erklärungen, keine Zeitverschwendung. Aber vielleicht eine Ahnung davon, was Präsenz und Gegenwart heißen könnten.

Verantwortung kommt von antworten. Ich antworte auf die Frage, die mir die Situation stellt. Das kann ich am besten, wenn ich vor dem so Gekommenen nicht erst mal auf dem Rücken meiner eigenen Version zu fliehen versuche.


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