Offene Weite, nichts von heilig,

soll Bodhidharma dem chinesischen Kaiser Wu entgegnet haben, als dieser ihn nach der Essenz des Buddhismus fragte.1 Im Zen gibt es den Unterschied zwischen Heilig und Profan nicht. Allgemein sind Unterschiede eher eine Sache (vielleicht eine Schwäche?) des menschlichen Denkens, als dass sie eine Entsprechung in der Wirklichkeit hätten.

Rituale und das Sitzen auf dem Kissen haben keine höhere Bedeutung als der Abwasch; ein Schritt beim Kinhin (der Gehmeditation) verweist ebenso wie ein Atemzug auf nichts anderes als sich selbst. Wie in anderen religiösen Praktiken gibt es im Zen - je nach Schule - jede Menge Theater, aber das Zen ist auch sich selbst gegenüber ziemlich schonungslos: Alles nicht von Bedeutung, nur Gegenstand der Übung.

alltag

Alltag ist der Weg

Nansen antwortet auf Jôshûs Frage nach dem Weg:

Der alltägliche Geist ist der Weg.2

Das Sitzen in Zazen ist ein idealer Ort, um sich in Gegenwart zu üben, den Geist zu betrachten und „eins mit den zehntausend Dingen zu sein“ (Dogen). An dieser Übung ist allerdings nichts Spirituelles oder gar Esoterisches - Zazen ist ganz und gar diesseitig, konkret und auch sinnlich. Wer auf der Suche nach dem Besonderen, nach extremen Erlebnissen, nach Erleuchtung ist, der wird von seinem Kissen schnell wieder aufstehen.

Gerade letztere, die Erleuchtung, ist im Zen ein ziemlich umstrittener Begriff. Ob es das Satori gibt und wie es sich anfühlt - ist, solange du es erfahren hast, nur ein Mythos. Aber selbst, wenn man eines Tages sein Erleuchtungserlebnis gehabt haben sollte: im Zen macht man danach so weiter wie zuvor.

Zazen hat nichts damit zu tun, zu Sphären der Glückseligkeit zu entschweben oder sich in eine Alpha-Hirnwellen-Trance zu begeben. Es geht darum, sich dem zu stellen, wer und was du wirklich bist, in jedem einzelnen verdammten Moment.3

Der alltägliche Geist ist der Weg: ein Geist, der nicht festhält, schon gar nicht an sich selbst (als etwas Besonderem).

Weg ohne Ziel

Was aber ist das Ziel? Im Unterschied zu anderen Traditionen (auch des Buddhismus) steht man nicht eines Tages als Heiliger vom Kissen auf, gibt es kein Versprechen, dass irgendwann alles ganz anders ist. Das Versprechen, das Ziel liegen in der Praxis selbst: Im Sitzen habe ich die Gelegenheit, mich im altbekannten „Loslassen“ zu üben, im Lösen von Mustern und Konzepten, aus denen ich mir mein Ich und die Welt zusammenbaue. Treten diese Konzepte erst einmal in den Hintergrund, werden Unterscheidungen und Bewertungen (die wir allemal für die Wirklichkeit halten) zunehmend irrelevanter. Im Sitzen kann ich erfahren, dass die Welt nicht auseinander fällt, wenn ich auf meine Deutungshoheit verzichte. Und das, was ich für mein Ich halte, nur ein Teil ist.

Es entsteht ein Raum der Gegenwart, in dem Welt und Ich eins werden können. Das Zazen ist im Grunde eine Übung für das Handeln; für ein Handeln im Augenblick, das nicht um mich selbst kreist. Wenn ich dann vom Kissen aufstehe und es gelingt,dieses Bewusstsein mit in den Alltag zu nehmen, dann habe ich es „geschafft“. Nur was eigentlich?


  1. https://www.ursachewirkung.com/achtsamkeit/811-offene-weite-nichts-besonderes 

  2. Vgl. z.B. Koan 19, “Alltag ist der Weg”, in: Mumonkan. Die torlose Schranke. Zen-Meister Mumons Koan-Sammlung. Kommentiert von Yamada Kôun Roshi. Kösel, 2011. 

  3. Brad Warner: Hardcore Zen. Punkrock, Monsterfilme & die Wahrheit über alles. J Kamphausen, 2010. 


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