Zen am Sonntag
|Ich bin Frühaufsteher. Die beste Zeit zum Zazen ist für mich der frühe Morgen. Wochentags stehe ich in der Regel um fünf Uhr auf, um die erste Stunde des Tages sitzend und in Stille zu verbringen. Und am Wochenende? Da erst recht. Wenn kein Kind in die Schule gebracht werden muss und keine Emails auf Bearbeitung warten, ist noch mehr Raum für die Übung.
So nehme ich mir sonntags, bevor ich mich aufs Kissen setze, Zeit für ein anderes Ritual. Während die Welt noch ganz still im Dunkeln liegt, bereite ich den Brötchenteig vor. Mittlerweile habe ich dafür das ideale Rezept gefunden: hiermit gibt es drei Stunden später die besten, lockersten und frischesten Brötchen, die bei uns je auf den Tisch kamen. Früh um fünf also beginne ich damit, den Teig zu machen und zu kneten. Kurz darauf sitze ich auf dem Kissen, während der Teig ganz in Ruhe gehen darf.
Ich bin Backen.
Nach der ersten Sitzrunde - es gehört zur den Vorzügen des Sonntagmorgens, dass im Gegensatz zur Arbeitswoche die Zeit da ist für oft zwei, manchmal gar drei Runden - ist der Teig gegangen und wird von mir zu Brötchen verarbeitet. Jetzt im Herbst ist das langsam die Zeit des Morgengrauens. Oft schmiegt schmiegt sich der Nebel ans Haus.
Ich übe mich im Rundwirken. Und tatsächlich: das langsame Formen der Brötchen auf der Tischplatte ist ebenso Übung wie das Sitzen auf dem Kissen. Die stille Arbeit geschieht ohne Ablenkung, ohne Zerstreuung und irgendwie auch ganz ohne Ziel: es ist ein ganz diesseitiges Tun, vollkommen in der stillen, zeitlosen Gegenwart des frühen Morgens. Am Sonntagmorgen gibt es nichts zu bedenken; da ist nichts anderes als die warme, erleuchtete Küche und das Rundwerden der Brötchen-Rohlinge.
Da bin ich nicht nur ganz „bei mir“: Ich bin - zumindest für Augenblicke - ganz mein Tun. Ich bin Backen.
Was gelingt, misslingt im gleichen Moment.
Die Brötchen dürfen gehen, während ich mich wahlweise noch einmal aufs Kissen setze oder über ein Kapitel des Shõbõgenzõ beuge. Was auch immer ich tue: Dieses reine Sein im Tun, das mir am ehesten an solchen ruhigen Sonntagmorgen gelingt, ist nicht zu halten. Was mir gelingt, misslingt - oder entschlüpft mir - in dem Moment, wo ich ans Gelingen denke. Schon der Gedanke, dies beschreiben zu wollen, bringt mich auf Abstand zur Situation, zum Moment - zum Sein.
Was wir erleben oder tun ganz und gar zu sein, fällt uns schwer - weil wir es festhalten wollen. Weil wir es benennen und definieren wollen. Weil wir es zu wiederholen oder zu vermeiden suchen. Und weil wir einen Abdruck unserer Erfahrung gern für alle Ewigkeit hätten - als Nutzen, den wir noch aus jeder Situation ziehen. Nichtwissen? Undenkbar! Nicht auszuhalten. Und doch ist es genau dieser Zustand des Einlassens auf das Jetzt, indem Wissen und Erfahrung keine Rolle spielen.
Jede Benennung, jedes Bild, jede Form - wir können nicht anders - führt aus der Gegenwart hinaus. Doch allein jetzt findest du Ruhe.